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Interview mit Marco Kaschuba

Guido Richterteamstormchaser wrote 9 years ago (edited 7 months ago):

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Marco Kaschuba stellt fest: Büro und Labor kann die Natur nicht ersetzen


Marco Kaschuba ist verrückt nach Hagel und reist gern weit, um extremes Wetter aller Art zu erleben. Mit Kameraausrüstung und Fluggeräten hält er das Schöne und Zerstörerische der Natur gleichermaßen fest. Unter www.marcokaschuba.com gibt er einen Einblick in seine Arbeit und sein Hobby. Guido Richter von Meteopool.org sprach mit ihm.


Meteopool: Hallo Marco, schön, dich zu sprechen. In der Szene bist du als Extremwetterreporter und Hageljäger bekannt. Schaut man hinter die Kulissen, tun sich weitere Felder auf. Meteorologe, Fotograf, Filmeproduzent, Hagelexperte, Oktokopter-Pilot, um nur einige Schlagworte zu nennen. Welches dieser Herzen schlägt am kräftigsten?

Marco Kaschuba: Alle diese Felder haben eine gemeinsame Basis: Die Leidenschaft für's Wetter. Und je mehr Wetter, desto besser. Ich arbeite gerne als Meteorologe im Bereich der Hagelforschung, aber das Büro und das Labor können die Natur nicht ersetzen. Deshalb schlägt mein Herz am kräftigsten wenn ich draußen sein kann, draußen in der Natur, im Wettergeschehen. Es muss nicht immer gleich Riesenhagel oder ein Tornado sein, oft reicht eine tolle Landschaft und ein genialer Sonnenuntergang.

Meteopool: Welche Emotionen überkommen dich, wenn du wie kürzlich geschehen die extremen Winde der kroatischen Bora gegen einen entspannten Sonneruntergang in Deutschland tauschst?

Marco Kaschuba: Naja, wie ein toller Sonnenuntergang auch, hat die Bora was Schönes an sich. Vor allem wenn man das Meer von den Bergen aus beobachtet, wie die Böen ins Wasser fallen, wie die Gischt aufsteigt. Teilweise sieht das alles so unecht aus. Irgendwie magisch. Gleichzeitig ist das eine Naturgewalt, die man kaum in Worte fassen kann.

Karl Marx schrieb 1856
Die Bora überfällt die Seeleute mit der Gewalt eines Tornados.


Er wußte schon damals Bescheid. Obwohl auch wir wussten dass es sehr heftig werden kann, haben uns so manche Windböen, weit über 200 km/h schnell, überrascht. Und irgendwann sind die Grenzen des Menschen gegenüber der Naturgewalt überschritten. Es war eine wichtige Erfahrung. Und um auf die eigentliche Frage zurückzukommen - die Emotionen die einem dann durch den Kopf schießen, liegen im Bereich von absoluter Faszination bis hin zu echter Angst. Vor allem in den Sekunden wo man absolut keine Kontrolle über die Situation mehr hat. Das darf nicht das Ziel einer solchen Expedition sein. Jeder will gute Bilder und ein spannendes Abenteuer. Aber jeder möchte auch wieder gesund nach Hause kommen.

Meteopool: Würdest du den Trip wiederholen? Gab es ein anderes Ereignis, das du in seiner Gesamtheit noch eindrücklicher empfandest? Ein echtes Highlight?

Marco Kaschuba: Auf jeden Fall würde ich den Trip wiederholen. Vielleicht würde ich das ein oder andere dann anders angehen. Aber es gibt immer wieder Neues zu erleben. Langweilig wird es beim Wetter ja nie, auch wenn es sich um das gleiche Ereignis handelt. Sicherlich gab es neben der Bora noch andere Highlights. Vielleicht ein F5 Tornado bei El Reno in Oklahoma im Jahr 2011. Wir standen so nah an diesem "Monster". Wie er vor uns über die Straße zog. Unvergessliche Momente. Vielleicht aber auch große Events wie Hurrikan Katrina. Ich stand zwar zu diesem Zeitpunkt nicht direkt an der Küste, doch habe ich die Orkanböen miterlebt und die Schäden gesehen. Unbeschreiblich! Vielleicht aber auch ein fast vergessener und eigentlich eher unbekannter F4 Tornado in Alabama, am 16. Dezember 2000. Vielleicht aber auch die brutalen Schäden nach dem F4 Tornado in Tuscaloosa am 27. April 2011. Sozusagen meine zweite Heimatstadt in der ich viel Zeit seit meiner Kindheit verbracht habe. Auch das bekannte Reutlinger Hagelunwetter am 28. Juli 2013 war ein großes Highlight. Es sind meist herausragende Wetterereignisse oder Events, die einen persönlich in irgendeiner Weise treffen.

Meteopool: 2013 gab es erneut einen F5-Tornado bei El Reno. Dabei starb Sturmjäger-Legende Tim Samaras zusammen mit seinem Sohn Paul Samaras, und dem Meteorolgen Carl Young. Schaut man da zurück auf 2011, als man selbst "ein Monster" vor Augen hatte?

Marco Kaschuba: Ja, auf jeden Fall. Es war zwar eine komplett andere Situation, doch trotzdem war es nahezu der selbe Ort, die selbe Kraft, die das schreckliche Unglück herbeigerufen hat. Als ich von dem Fall "Tim Samaras" gehört habe, war ich natürlich wie die meisten aus der Wetterszene zutiefst schockiert. Und ich denke, dass man diesen Gedanken immer im Hinterkopf behält. Bleibt nur zu hoffen, dass sich so ein Ereignis nie wiederholen wird.

Meteopool: Du hast ja bereits das Reutlinger Hagelunwetter vom 28. Juli 2013 erwähnt. Bedient man Google, findet man schnell Deutschlands größtes Hagelkorn in Verbindung mit deinem Namen. Welche Geschichte steckt hinter diesem Ereignis?

Marco Kaschuba: Nicht zu verwechseln: Am 28. Juli 2013 gab es entlang der Schwäbischen Alb ein gewaltiges Hagelunwetter. Bekannt auch als Reutlinger Hagelunwetter. Mit 3,6 Mrd. Euro Gesamtschaden ist es das teuerste Hagelunwetter in der Geschichte Deutschlands, und mit eines der teuersten weltweit (je nach Umrechnung sogar Platz 1). Eine Woche später, am 06. August 2013, zog erneut eine gewaltige Superzelle über die Region Reutlingen hinweg. Diesmal hat es eher den Albtrauf erwischt. Es hat bei weitem nicht die Intensität erreicht wie das am 28. Juli, doch es war trotzdem ein Monster. Schon alleine der Anblick auf dem Radar zeigt das enorm ausgeprägte Hook-Echo und die extreme, vertikale Ausdehnung des Hagelkerns. Mich wundert noch heute, dass es im Raum Balingen keinen Tornado gab, so tief wie die Wolken dort hingen und wie stark die Rotation war. Ich befand mich bei Reutlingen und habe abgewartet. Ich bin am Albtrauf in golfballgroßen Hagel geraten, bin aber erst anschließend auf die Albhochfläche gefahren. Erst am Abend bin ich die Schneise entlang gefahren, und entdeckte bei Undingen auf der Reutlinger Alb Hagelkörner von bis zu 11,9 cm. Immerhin waren schon Stunden und weitere Regenfälle vergangen. Die Aussagen der Anwohner sowie die Schäden und Einschlagkrater auf den Wiesen zeigten, es mussten noch deutlich größere Hagelkörner gefallen sein. Fast zwei Wochen lang habe ich im Ort recherchiert und konnte von drei Anwohnern Hagelkörner abkaufen - ja abkaufen - die sie nach dem Hagelsturm eingefroren hatten. Diese hatten einen Durchmesser zwischen 11,0 und 14,1 cm. Das sei also das größte dokumentierte Hagelkorn Deutschlands. Ich bin mir sicher dass es an diesem Tag einzelne Hagelkörner um 15-17 cm gab. Die Einschlagkrater deuten darauf hin, beweisen kann ich das aber nicht. Auch wenn es dazu grobe Aussagen von Anwohnern gibt. Sicherlich gab es auch in der Vergangenheit schon öfters in Deutschland Hagelkörner diesen Ausmaßes. Historische Berichte erzählen davon. Auch hier gibt es drei bekannte Fälle von der Schwäbischen Alb, aber auch vom Nordwesten Deutschlands.

Meteopool: Wie kam es denn überhaupt dazu, dass Hagelkörner abgekauft werden müssen? Was kostete dich die Aktion, wenn du das sagen darfst? Bist du der Meinung, dass die moderne Gesellschaft auf dieses Ereignis ausreichend vorbereitet war?

Marco Kaschuba: Naja, die Anwohner hatten die Hagelkörner als Souvenir und als Versicherungsbeweis aufgesammelt und eingefroren. Für ein paar Euro haben sie dann die Hagelkörner an mich übergeben. Also ein Finderlohn, nicht mehr und nicht weniger. Immerhin haben sie so einen tollen Beitrag für die Forschung getan. Ich habe sie noch immer in meiner Tiefkühltruhe. Die Frage ist, wie kann man sich auf solch eine Naturkatastrophe denn vorbereiten. Wenn man weiß dass Unwetter mit großem Hagel vorhergesagt sind, kann man eventuell sein Auto in die Garage parken. Gartenmöbel in den Keller stellen. Rollläden nach oben ziehen. Und dann hoffen das nichts passiert. Doch bei Hagelunwettern dieser Kategorie ist man mehr oder weniger der Naturgewalt ausgeliefert. Eine entsprechende Versicherung für Auto und Gebäude ist natürlich sinnvoll, vor allem in Regionen wo es immer wieder zu Hagel kommt.

Meteopool: Du sitzt ja nun sowohl örtlich als auch fachlich direkt an der Quelle. Was hältst du von Hagelabwehr-Methoden wie Hagelkanonen oder Silberiodid-Ausbringung von sogenannten Hagelfliegern?

Marco Kaschuba: Diese Frage kann in heutiger Zeit wohl niemand beantworten. Doch zu viel spricht gegen die Methoden der modernen Hagelabwehr. Somit teile ich die Meinung der meisten Kollegen und Wissenschaftler in diesem Bereich und bewerte die Hagelabwehr als sehr kritisch und nicht erfolgsversprechend.

Meteopool: Diese Zukunft scheint also noch im Ungewissen zu liegen - wie geht es bei dir weiter? Welche Projekte stehen an? Welche Wetterphänomene oder Reiseziele stehen bei dir ganz oben auf dem Jagdregister?

Marco Kaschuba: Die Great Plains in den USA werden sicherlich für immer ein Reiseziel bleiben. Doch auch bei uns vor der Haustüre gibt es so viel zu entdecken. Deshalb möchte ich mich in diesem Jahr voll und ganz auf das europäische Wetter konzentrieren. Von Nord nach Süd, von West nach Ost. Unter dem Motto "The European way of storm chasing" hoffe ich für das Jahr 2015 auf eine spannende Wettersaison. Die ersten drei Monate waren ja schonmal ganz spannend.

Meteopool: Wir sind gespannt - und damit sicher nicht allein - was dieses Wetterjahr bringt und wohin es dich verschlägt. Ich danke dir für die genommene Zeit und wünsche weitere, spannende Ereignisse. Pass gut auf dich auf, wenn du Mutter Natur in die Augen schaust.

Das Interview wurde durchgeführt von Guido Richter Anfang/Mitte des Jahres 2015.

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